„Vater hat nie geschossen“

LESUNG UND GESPRÄCH

Die Kriegsgeneration, ihre Geschichten und die Wahrheit, Buchautor Michel Hülskemper aus Gescher zu Gast im Unterricht am Berufskolleg Borken

 

In fast jeder Familie in Deutschland gibt es Geschichten, die von der Rolle der eigenen Vorfah­ren in der Zeit des Nationalsozialismus erzählen. Aus ihnen gehen oft die große Not und das Elend hervor, unter denen die Menschen leiden mussten. Häufig fällt der Satz: „Vater hat nie geschossen“.

Michel Hülskemper hat diese markante Aussage als Titel für sein Buch gewählt, welches sich mit der Geschichte seiner eigenen Familie befasst. Er hat durch Recherche, Gespräche mit Verwandten, sowie mithilfe von Dokumenten, Fotos und anderen Erinnerungsstücken das Le­ben seiner Vorfahren von einer neuen Seite beleuchtet.

Viele Kinder und Enkel können sich einfach nicht vorstellen, dass der gute Großvater einer je­ner Soldaten gewesen sein soll, die andere Menschen erschossen oder Kriegsverbrechen be­gangen haben. Dass die Geschichten, wie sie in den Familien weitergegeben werden, nicht im­mer ganz der Wahrheit entsprechen, kann mit Schuldgefühlen, Scham oder traumatischen Be­lastungen zusammenhängen, die durch das Erlebte hervorgerufen werden.

In vielen Familien wurde der Lebensgeschichte von Vätern und Großvätern totgeschwiegen, sodass sich automatisch Mythen darum bildeten.

Michel Hülskemper besuchte das BKB zu einer Lesung mit anschließender Diskussion und folgte damit einer Einladung der GT 19 (Gymnasium Technik) und der Deutschlehrerin Kerstin Brandt.
An der Veranstaltung nahmen zudem Schüler:innen der GT 20 und GG 19 persönlich teil und weitere Interessierte online, angeregt durch eine Pflichtlektüre der Gymnasialen Oberstufe, die sich ebenfalls mit der Schuld und dem Schweigen der Väter-Generation auseinandersetzt.

Der Autor las aus seinen Erzählungen und zeigte dazu Fotos seiner Familie aus Zeiten des Krie­ges.  Eine Schülerin fragte, ob und woher er denn wisse, dass die Geschichten wahr seien, die ihm erzählt wurden. Der Autor erklärte, er habe überprüft, ob die genannten Orte und Zeiten mit bekannten Kriegsereignissen übereinstimmten.

Ob seine Motivation zum Schreiben vielleicht durch ein Trauma komme, das ihm gleichsam ‚vererbt‘ wurde, fragte eine Schülerin. In seinem Falle sei dies nicht so gewesen, antwortete Herr Hülskemper, doch wisse er, dass es schwere Traumata in den Familien hinterlasse, wenn die Eltern in den Weltkrieg involviert waren. Es sei sehr schwer, zu erfahren und zu ertragen, dass der eigene Vater, Onkel oder Großvater als Soldat andere erschossen hat.
Bei seiner eigenen Familie habe es einen großen Zwiespalt gegeben: Einerseits wollte man wissen, welche Rolle die eigenen Eltern einnahmen, andererseits fürchtete man sich vor der Wahrheit.

Wie stellt man die sensibelsten Fragen nach möglichen Vergehen oder Grausamkeiten, inte­ressierte einen Schüler. Man müsse Vertrauen schaffen ohne Vorverurteilung und Anklage, so Michel Hülskemper.  Er empfahl, nach den Orten zu fragen, an denen sich Verwandte wäh­rend des Krieges aufhielten und weniger auf die Schuld als vielmehr auf die Scham einzugehen.

Die Zeit reichte nicht aus, alle damit verbundenen großen Themen zu besprechen: Wie ergeht es denen, die heute die Wahrheit kennen? Wie recherchiert man gezielt über das Leben der Vorfahren?

Veranstaltungen wie diese dienen der Information und Prävention. Und doch ist wieder Krieg in nächster Nähe.

Wir danken Herrn Michel Hülskemper für die Lesung und das intensive, beeindruckende Ge­spräch, das uns lange in Erinnerung bleiben wird und schon jetzt zu weiterführenden Diskussi­onen und regem Gedankenaustausch geführt hat!

Adrian Lammersmann (GT 19 A), Kerstin Brandt

2022-03-27T16:41:54+02:00

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